Um das Gebäude des ORF mit seiner konstruktiven Anwendung des Skelettbaues historisch einordnen zu können, ist es notwendig kurz einen Rückblick zu den Anfängen des Skelettbaues zu tätigen.
Historischer Rückblick
Der Skelettbau (in Stahlbeton) wurde durch mehrere Aspekte typologisch vorangetrieben:
- Erstens durch die technologischen Aspekte des Stahlbetons, die Erfindung des Stahlbetons und seiner konstruktiven Rahmenbedingungen.
- Zweitens durch die treibende Kraft der Industrialisierung, Produktionsstätten herzustellen, die möglichst stützenfrei und flexibel sind und möglichst kostengünstig herzustellen sind.
- Drittens durch den Hochhausbau in Amerika. Dort war der Skelettbau eine Notwendigkeit, um schnell und effizient in die Höhe bauen zu können, das Tragsystem in Einzelteile aufzulösen, um größtmögliche Flexibilität in den verschiedenen Geschoßen zu erzielen.
Zwei Konstruktionssysteme in Stahlbeton standen am Beginn der Entwicklung des Stahlbetonskelettbaues: jenes von Francois Hennebique (1842–1921) und das von Gustav Wayss (1851–1917), später Wayss und Freitag.
Das grundlegende Tragsystem bestand in beiden Fällen aus einem Primärtragsystem aus Stahlbetonrahmen. Quer zu diesem Primärtragsystem wurde ein Sekundärsystem mit einer Rippendecke angeordnet.
Dieses System ermöglichte die „Auflösung“ der tragenden Gebäudestruktur und reduzierte sie auf die Stahlbetonsäulen und die dazugehörigen Rahmen (Unterzüge).
In späteren Varianten wurden von anderen Konstrukteuren (z. B. Maillart) noch die Pilzdecke eingeführt, um auch an der Decke in gewissen Bereichen unterzugsfrei zu sein und eine noch größere Flexibilität in der Nutzung zu ermöglichen.
Diese Konstruktionsart fand im Industriebau rasche Anwendung und Verbreitung.
Hennebique hat z. B. sein Patent 1892 registrieren lassen, bis zum Jahre 1899 waren schon 3.061 Projekte damit gebaut und bis 1909 waren es fast 20.000 Projekte, die mit diesem System verwirklicht wurden.
In Amerika hat Ernest Ransome (1844–1917) auf Basis des Patents seines Vaters ein eigenes System entwickelt und damit unzählige Industriebauten verwirklicht.
Bis 1902 dominierten 4 Firmen den amerikanischen Markt, einer von ihnen, die Ferro-Concrete Construction Company errichtete 1902–1903 das erste Hochhaus in Stahlbetonskelettbau, das Ingall Building in Cincinnati.
Die neuen konstruktiven Möglichkeiten lassen daher auch erstmals das Traggerüst an der Fassade klar nachvollziehen. Die Konstruktion wird nach außen hin „offen“ gelegt und wird mit Attributen wie „Ehrlichkeit“ behaftet.
Im Industriebau wird damit auch die Funktion der dahinterliegenden Räume schnell ersichtlich.
Die meisten Industriebauten bestehen aus funktionell verschiedenen Teilen (z. B. Montagehalle, Verwaltungstrakt, Fertigung, Energiezentrale, Wohnungen…) die aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse jetzt auch sehr differenziert aussahen.
Die Entwicklung im Hochhausbau hatte natürlich auch andere technologische Komponenten zur Folge, die im Inneren des Gebäudes notwendig waren, damit das Gebäude funktioniert.
Wir reden hier von Aufzügen, Klimatisierung, Haustechnik allgemein, Sonnenschutz, sowie typologische Fragen zu Büroformen.
Wie aus dem gezeigten Beispiel von Belluschi, der Equitable Savings Bank in Portland von 1948 ersichtlich wird, sind diese technologischen Fragen zu diesem frühen Zeitpunkt schon erstaunlich weit geklärt.
Der technologische Aspekt hat auch Le Corbusier zu Überlegungen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Konstruktion und Raum veranlasst.
In seinem Projekt Maison Dom-Ino präsentiert Le Corbusier 1914 ein Konstruktionssystem für den Wiederaufbau in Flandern nach dem Krieg.
Bei genauer Betrachtung der Grundrisse und Schnitte erkennt man ein Fertigteilsystem, die Geschossplatte besteht aus einem Verbundsystem von Primär- und Sekundärträger, also ein System der Vorfertigung.
Zu diesen frühen Pionieren zum Thema Stahlbetonskelettbau und Fertigteile gehört natürlich Auguste Perret.
Als früher Anwender dieser Technologie, hat er um die Jahrhundertwende schon mit Stahlbetonskelettbau auch in Wohnbauten gearbeitet.
Perret, der ein ausgebildeter Ingenieur war, war sich der Problematik des Fertigteilbaues genau bewusst.
Auf der einen Seite war die Qualität des Fertigteiles sicherzustellen; Perret hat zu diesem Zweck sogar als Architekt selbst die Schalungspläne gezeichnet, da ihm klar war, dass die Fertigteile nur so gut werden können, wie die Schalung es zulässt.
Und zweitens hat Perret schon von Anfang an erkannt, dass er sich intensiv mit der Frage des „Zusammenfügens“ von Betonfertigteilen auseinandersetzten muss.
Die verschiedenen Längsausdehnungen, auch abhängig vom gewählten Tragsystem bedingen verschiedene Arten von Fugen. Perret hat dazu einen Katalog von verschiedenen Fugenarten mit verschiedenen Möglichkeiten der Dehnung entwickelt.
Perret hat für seinen Kirchenbau in Le Raincy, 1922–1924 vorgefertigte Betonpaneele als Fassadenteile und als Einlageteile für die Gewölbe verwendet.
In den Detailzeichnungen von Perret werden, die Überlegungen offensichtlich, wie man mit Fugen jeder Art (Dehnfugen, Toleranz, etc.) umzugehen hat, und wie diese in die Architektursprache einfließen können. Diese Überlegungen sind bis heute in vielen Details gültig.
Des weiteren hat sich Perret mit seinen minutiösen System von vorgefertigten Betonfertigteilen überlegt, den Kräfteverlauf darzustellen und über die Notwendigkeit der Statik hinaus die Symbolkraft des Lastabtragens zu zeigen.