Gutachterliche Stellungnahme betreffend Denkmalschutz

ORF ZENTRUM KÜNIGLBERG

Teil 5 – Fertigteilbauweise

Das Gebäude des ORF ist nicht nur ein Stahlbetonskelettbau – sondern geht einen Schritt weiter – ein Gebäude aus Fertigteilen.

„Am Beginn aller Konstruktionsgedanken stand daher die Entwicklung möglichst weniger, in großer Zahl verwendbarer, für eine echte Serie geeigneter Stahlbetontragwerke, die nach dem ursprünglichen Konzept auf der Baustelle hergestellt werden sollten.“

Roland Rainer, Broschüre ORF Zentrum Wien

Historischer Rückblick

Um das Gebäude und seine Konstruktion einordnen zu können, ist auch hier ein historischer Rückblick angebracht.

Perrets Konstruktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie kleinteilige Fertigteile waren, die in Summe gesehen zu einem Ganzen zusammengefügt worden sind, die durch die Vorfertigung als Einzelteile komplett ein größeres Ganzes ergeben haben.

Genau in dem selben Geiste kann man die Arbeit von Pier Luigi Nervi (1891–1979) einordnen, der sich intensiv mit dem Thema Vorfertigung, Stahlbeton und komplexe Tragwerke beschäftigt hat.

Schon in den 30er Jahren hat Nervi große vorgefertigte Flächentragwerke gebaut und statisch innovative Tragsystem mit seinem Ferrozement und der „strukturellen Vorfertigung“ realisiert.

Gemein ist allen diesen Konstruktionen, dass sie stark vom Kräfteverlauf und seiner Auflösung in der Konstruktion geprägt sind. Nervi ist damit auch ein Vertreter der Auffassung, dass die Tektonik von der Struktur geprägt ist.

Im Laufe der 50er Jahre hat Nervi sich auch mit vorgespannten Trägern befasst und einer seiner typologischen Konstruktionen wurde später von Harry Seidler in Zusammenarbeit mit Nervi bei einigen seiner Bauten verwendet.

Diese Konstruktion bestand aus einem vorgespannten Parapetträger, der außen dem Kräfteverlauf entsprechend elliptisch ausgehöhlt war, und gleichzeitig als Auflager für die quer gespannten Deckenelemente diente.

Die quer gespannten Deckenelemente waren auf der Unterseite wieder dem Momentenverlauf entsprechend geformt und wurden durch Spannschließen mit dem Parapetträger und dem Mittelträger zu einer Einheit verbunden.

Diese Spannschließen stellten damit schubsteife Decken her und damit die notwendige Steifigkeit der Gesamtkonstruktion.

Im Schnitt ist die räumliche Ausformulierung der quer gespannten Deckenelemente zu sehen, sowie die notwendige Verspannung des Gesamtsystems und die Vorspannung des Parapetträgers.

Galerie Nervi

Ein weiterer Vorreiter in Sachen Vorfertigung und Integration von technischer Infrastruktur stellt zweifelsohne das Richards Medical Laboratory von Louis Kahn aus dem Jahre 1957–1960 dar.

In diesem Gebäude ging es Kahn darum, die technische Infrastruktur in das Tragsystem des Gebäudes zu integrieren, sowie sich die Frage zu stellen, wie kann man aus intelligent vorgefertigten Teilen ein stimmiges Ganzes herstellen. Dies, in Zusammenwirken mit einer notwendigen Vorfertigung, zur Realisierung einer schnellen Bauzeit.

Dies führt zu einer Lösung von komplex gestalteten, räumlich vernetzten Trägern, die sowohl im Gebäudeinneren, als auch von außen klar sichtbar sind.

Die Integration der Technik ist damit auch ein Gestaltungskriterium. Die Formensprache der Träger wird sowohl von inneren, technischen Rahmenbedingungen, als auch vom Äußeren des gesamten Erscheinungsbildes geprägt.

Die konstruktive Sprache der Tektonik ist damit von außen und von innen ablesbar.

Eine ähnliche treibende Kraft zum Thema Vorfertigung komplexer Formen wie Kahn war das Ingenieurbüro Ove Arup & Partner.

Bei dem gemeinsamen Projekt des Sydney Opera Houses mit Jorn Utzon wurde eine konstruktive Lösung der Schalen durch das System eines Fertigteilbaues gefunden. Wieder ein System mit kleinen, reproduzierbaren Einheiten, die zu einem größeren, komplexen Ganzen werden.

Auf dem Bild ist die Produktion der Fertigteile vor Ort zu sehen und der Beginn des Aufbaues der Schalenkonstruktionen, die aus den segmentartigen Fertigteilen zusammengesetzt werden.

Fertigteilbauweise in Österreich

Es hat in Österreich auch Bestrebungen gegeben Fertigteile zu verwenden.
Die Fertigteilgeschichte in Österreich war in den Anfängen jedoch vor allem durch den Wohnbau geprägt, durch die wirtschaftliche Notwendigkeit schnell und günstig Wohnungen nach dem Krieg herzustellen.

Die Stadt Wien hat sich an einer eigenen Fertigteilbaufirma beteiligt und hat das Camus System verwendet und da entsprechendes Knowhow zum Thema Fertigteile angeeignet.

Gerhard Garstenauer hat in den 50er Jahren Industriebauten gebaut, wobei er sich zuerst sein System patentieren lassen hat.
Dieses System bestand aus vorgespannten Primärträgern, an den Sekundärträger befestigt waren. Diese Sekundärträger hatten Ausnehmungen um entsprechende technische Infrastruktur queren lassen zu können.

Garstenauer hat dieses System in abgewandelter Form für das ÖFAG Gebäude in Salzburg, Mercedes Benz und Fa. Bleckmann auch in Salzburg verwendet und gebaut.

In Österreich gibt es auch noch etliche Beispiele, eines davon ist das Österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut 1968/69.

Auch dort ist eine Stahlbetonrahmenkonstruktion als Tragsystem verwendet worden, die auch im Inneren des Gebäudes sichtbar ist.