Gutachterliche Stellungnahme betreffend Denkmalschutz

ORF ZENTRUM KÜNIGLBERG

Teil 6 – Konstruktion

Das Hauptkonstruktionsprinzip des ORF Gebäudes beruht auf 15,0 m langen Parapetträgern, die als Fertigteilträger an den Konsolen in den Stützen eingehängt sind.

Der Parapetträger hat auf der Außenseite eine trapezförmige Ausnehmung und auf der Innenseite des Untergurtes eine Art durchgehende Konsole auf dem der T-förmige Kassettenträger aufliegt.

Die Fertigteilstützen sind Stützen über mehrere Geschoße, die links und rechts Konsolen ausgebildet haben, auf denen dann die Parapetträger eingehängt wurden.

Die Kassettendecke spannt sich quer zum Parapetträger von der Außenwand zum Unterzug der Mittelstützachse.

Die Kassettendecken sind lose auf den Parapetträger aufgesetzt. In den Zwischenraum der Decken wurde eine Bewehrung eingelegt die mit Schweißgründen des Außenträgers verschweißt wurde. Dieser Zwischenraum wurde dann mittels einer von unten aufgebrachten trapezförmigen Schalung vergossen.

An dem Detailplan des Parapetträgers wird ersichtlich, dass die äußere sichtbare, schräg verlaufende Auflagerkante nicht das tatsächliche Auflager ist, sondern dass es eine Art Nase ist, die die dahinterliegende rechtwinkelige Konsole abdeckt.

Diese Parapetträger wurden mit der Auflagerkonsole verschweißt, nur in den Drittelpunkten des Hauptriegels sind Dehnfugen angeordnet.

Die Parapetträger sind außen ungedämmt, innen ist teilweise eine Wärmedämmung von 25 mm aufgebracht.

Bauschäden und Baumängel

Bei der Gesamtkonzeption des Gebäudes hat es kein entsprechendes Problembewusstsein für die temperaturbedingten Längsausdehnung der Fertigteile gegeben.

Der Parapetträger „steckt“ sozusagen verschweißt zwischen den Auflagerkonsolen fest und die Formveränderung durch die Temperaturdifferenz wird somit durch Verbiegung in die schwächste Richtung – nämlich nach außen – weitergegeben.

 

Dies hat zwei Fakten zur Folge:

  • Biegung des Trägers
    Durch die „Biegung“ des Trägers nach außen wird der Kassettendecke das Auflager entzogen und es besteht die Gefahr des Durchrutschens der Kassettendecke nach unten.
  • Rissespannungen im Betonträger
    Die Rissespannungen im Betonträger wurden schon relativ bald durch den ausführenden Statiker während der Bauzeit festgestellt und in der Folge wurde sein Vorschlag angenommen, die Sichtbetonoberflächen durch elastische Kunststoffbeschichtungen abzudichten, um weitergehende Korrosion zu vermeiden. Diese Art der „Verkleidung“ steht im Widerspruch zu dem architektonischen Anspruch von Roland Rainer den Sichtbeton unbehandelt nach außen zu zeigen.
    Ausgeführt wurde eine Beschichtung mit mineralischem Feinspachtel STOCrete TF 200 mit einer Schichtdicke von 2–5 mm. Darüber wurde eine Beschichtung STOCryl RB aufgerollt.

Bei einigen Parapetträgern sowie Wandelementen sind Rissbildungen festzustellen … Bei den Parapetträgern liegen die Risse an der Außenseite, etwa im Bereich der Untergurte. Der Verlauf und die Lage der Risse ist ungleichmässig, d. h. es liegen keine typischen, sich wiederholenden Rissbilder vor, die auf Überlastung schließen lassen …
Nach Art der Rissbildung ist zu schließen, daß diese durch Zwangsspannungen infolge Temperatureinwirkung ausgelöst worden sind …
Zur Sanierung der Risseschäden wird eine Verspachtelung bzw. ein Oberflächenverschluß mit einem geeignetem Betonfinish vorgeschlagen, um das Eindringen von Feuchtigkeit in die Risse zu verhindern.“

(Brief von Dr. Armbruster vom 5.8.1970)

Der ORF als Bauherr war mit diesen Bauschäden von Anfang an konfrontiert, dieser konstruktive Umstand wurde die schlechte Ausführungsqualität der Fa. EBB Fertigteilbau derart verschärft, dass die Baubehörde MA37 am 21.12.1973 den Bau eingestellt hat, da

 

„Baumängel an den Fertigteilen vermutet werden.“

Die nach dem damaligen Stand der Technik geplante Betondeckung (ÖNORM B4200, 8. Teil 05/1969; 1,5–2 cm) ist nach heutigem Wissen völlig ungeeignet und wurde durch die Fa. EBB an vielen Stellen noch deutlich unterschritten und beträgt teilweise nur 5 mm.

Gegen diesen Bescheid der MA37 hat der ORF berufen, die Bauoberbehörde hat jedoch dieser Berufung nicht stattgegeben, sondern im Gegenteil minutiös die Fehler und Schwachstellen aus ihrer Sicht aufgezählt.

In der Folge wurde das Problem so gelöst, dass Bauabschnittsweise Freigaben von der MA37 eingeholt wurde und die Baueinstellung nicht weiter beeinsprucht wurde.

Die Risseproblematik war und ist damit aber nicht gelöst, zahlreiche Gutachten beginnend mit Köneke 1978, haben stets auf die notwendige Sanierung hingewiesen.

Nachdem im Jahr 2005 Träger freigelegt und saniert worden sind, ist klar, dass alle Parapetträger gleich oder ähnlich dem Vorschlag von DI. Zieritz aus dem Jahr 2005 saniert werden müssen:

  • Abschlage der losen Teile und Freilegen der verrosteten Hauptbewehrung
  • Sanierung Bewehrung und Verschluss gemäß Norm
  • Kohlefaserverstärkung der Hauptbewehrung
  • Anbringen von „Schuhen“ am Parapetträger, damit ein Wegrutschen des Kassettenträger verhindert werden kann.

Gleichzeitig muss noch eine Lösung für auftretende Spannungen durch den verschiedenen Wärmeeintrag im Sommer und Winter erarbeitet werden. Aus Sicht des heutigen Kenntnisstandes ist hier dringender Sanierungsbedarf gegeben, der mit einem außerordentlichen Kostenaufwand verbunden sein wird.

Aus den vorgenannten und noch anderen Gründen hat der vom ORF beauftragte Gutachter Walt+Galmarini, Zürich im März 2007 in seinem Gutachten, die dringende Empfehlung ausgesprochen die Nutzbelastung auf 2 kN/m² zu beschränken. Diese Nutzlastbeschränkung wird vom ORF eingehalten und laufend kontrolliert.

Diese Nutzlastbeschränkung erscheint unumgänglich, da DI. Zieritz schon in seinem Projekt 2005 nachgewiesen hat, dass die Auflagerbewehrung der Kassettendecke ungenügend ausgeführt wurde, nämlich dass die Hauptbewehrung zu früh hochgebogen wurde und keine entsprechende Bügelbewehrung vorhanden ist.

Durch die auftretenden Scherkräfte (der Parapetträger bewegt sich aufgrund von Wärmespannungen nach außen) wird dieses Problem am Auflager verschärft. Überdies sind im gesamten Gebäude keine Gleitlager bei den Kassetten ausgeführt, daher besteht in diesen Fällen, unserer Meinung nach, Gefahr im Verzug.

Die Geschichte dieser Fertigteile und der Betonauflager zieht sich bis zum Zeitpunkt der Errichtung des Baus hin.

Leider sind im März 1973 bei einem Einsturz auf der Baustelle mehrere Arbeiter ums Leben gekommen.

Anhand der Fotos von damals kann man frappante Ähnlichkeiten im Abscherverhalten der Kassettendecken mit den Fotos des Gutachters Zieritz erkennen, die er von den sanierten Bereichen vor der Sanierung gemacht hat.